Führungskräfte diskutieren in Stuttgart über gesundheitsfördernde Verwaltung

„Wir brauchen Leidenschaft für unsere Arbeit und Freiräume für Privates“

Dass sich das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz nicht auf „ein bisschen Rückenschule“ reduzieren lässt, ist mittlerweile für die Organisationen selbstverständlich. Beim sechsten „BW-Forum Personalverantwortliche im öffentlichen Dienst“ stand darum im Stuttgarter Hospitalhof eine gesundheitsförderliche Organisationskultur im Fokus, die der zunehmenden Arbeitsverdichtung entgegenwirkt.

Freiräume schaffen und neues Denken

„Wir müssen in Zukunft noch mehr mit unseren Mitarbeitern sprechen, ihre Kompetenzen noch stärker fördern und gleichzeitig Freiräume von der Arbeit erhalten, damit die Leidenschaft für den Beruf bleibt“, skizziert Ministerialdirektor Dr. Wolf-Dietrich Hammann im Ministerium für Soziales und Integration die Herausforderungen. In einer immer komplexeren Welt würden zunehmend Beruf und Privatheit vermischt werden. Hier gelte es auch „arbeitsfreie Zonen“ zu bewahren. Um die Zufriedenzeit am Arbeitsplatz zu steigern, sollten Führungskräfte noch mehr Aufmerksamkeit auf Mitarbeitergespräche legen, um Aufgabenfelder und Einsatzmöglichkeiten zu optimieren. Zudem müssten neue Arbeitszeitmodelle entwickelt werden, um zu unterschiedlichen Zeiten und an wechselnden Orten sinnvoll arbeiten zu können, fordert der Verwaltungsexperte Hamann. „Wir werden in Zukunft vielleicht nicht immer pünktlich Mittag essen, dafür aber vielleicht mal zwischendurch im Café einen Cappuccino trinken“

„Nach einer Aufbauphase ist in der öffentlichen Verwaltung jetzt Gesundheitsförderung für Fortgeschrittene angesagt: Es gilt, die Strukturen und Angebote strategisch zu prüfen und noch treffsicherer zu gestalten“, so Christine Ehrhardt, Leiterin des Kompetenzzentrum Arbeit oDiversität der FamilienForschung Baden-Württemberg. Das bedeutet für sie auch erhöhte Flexibilität, etwa durch verstärkte Nutzung von Arbeitszeitkonten. „Wertschätzung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dazu sinnstiftende Aufgaben und Gestaltungsspielräume können den öffentlichen Dienst attraktiver machen“, ist Ehrhardt zuversichtlich.

„Weiter denken“ bedeutet für Dr. Christine Dörner, etwa Führungsmodelle in der Verwaltung einzuführen, bei der sich Führungskräfte in Teams Aufgaben teilen. Für die Expertin für Organisationentwicklung an der Führungsakademie Baden-Württemberg ist klar: „Wir brauchen kreative innovative Modelle, die eine Entschleunigung und Entzerrung bewirken, damit auch Führungskräfte wieder Kraft tanken können“.

Emotionale Bindung an Organisationen als Schlüssel für Gesundheit

„Wenn sich Fehlzeiten bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern häufen, dann ist das ein Versagen der Organisation“. Klare Worte von Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Badura. Fehlzeiten hätten in den wenigsten Fällen mit Krankheit zu tun. Darum ist für ihn Dreh- und Angelpunkt die emotionale Bindung an den Arbeitgeber. Und hier sieht er in vielen Fällen massive Defizite. So geben viele Mitarbeiter an, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen. Nur 16 Prozent empfinden eine hohe emotionale Bindung. „Der Mensch ist kein Stressvermeider, sondern ein sinnstiftendes Wesen. Darum ist es zentrale Aufgabe der Führungskräfte, positive Energien bei den Mitarbeitern zu wecken, dass sie ihre Tätigkeiten gerne ausüben“, sagt Prof. Badura und appelliert, sich mehr mit ihren internen Zahlen zu beschäftigen. Fehlzeitenstatistik sei wichtig in der Organisationsdiagnostik. „Man muss den Mut haben, in die eigenen Zahlen zu schauen.“, fordert der Experte für betriebliches Gesundheitsmanagement.

Dazu gelte es, die Unternehmenskultur zu entwickeln, also das, was Menschen verbindet, ihre gemeinsamen Werte und Überzeugungen. „Wir leben in einer Welt, in der die Unterschiede betont werden und wo das Gemeinsame zu kurz kommt.“ Zentrale Aufgabe der Führungskräfte sei es darum, einen Sinn der Arbeit zu vermitteln, der über Quartalszahlen hinausgehe. Gerade in dieser Frage wie auch bei der Selbstorganisation bescheinigte der Wissenschaftler der öffentlichen Verwaltung noch Nachholbedarf.

Stressfaktoren in der Organisation eliminieren

In drei Foren schilderten Praktiker aus der Verwaltung ihre Erfahrungen mit neuen Ansätzen beim Gesundheitsmanagement. Etwa im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, wo das Landratsamt unter dem Titel „Gesunde Führung statt Burnout“ einen branchenübergreifenden Zertifikatskurs für Führungskräfte anbietet. „Vom Schreinerbetrieb mit 5 Mitarbeitern bis hin zu Unternehmen mit bis zu 1000 Mitarbeitenden oder Personalverantwortlichen aus der öffentlichen Verwaltung – so breit war bisher das Spektrum der Kursteilnehmer“, so die Erfolgsbilanz von Kurs-Leiterin Annette Herlt. Wichtig dabei: Gesunde Führung lässt sich nicht verordnen. „Der Kapitän muss beim betrieblichen Gesundheitsmanagement mit an Bord sein. Es muss in die Unternehmenskultur mit einfließen“, so die Erfahrung von Katja Zeller-Landvogt, die als IKK-Verantwortliche den Kurs als Partner begleitet hat. Wichtige Komponenten sind gelebte Werte in der Organisation, Wertschätzung, familien- und gesundheitsorientierte Personalpolitik und Achtsamkeit. „Wichtig ist, man muss bereit für Veränderung sein“, weiß Annette Herlt.

Bürgermeister Enrico Penthin von der Gemeinde Wittnau war bereit dazu. Er stand aufgrund permanent hoher Arbeitsbelastung „mit dem Rücken zur Wand“. Seit dem Kursbesuch hat sich seine Einstellung zu seiner Tätigkeit vollkommen verändert. „Ich achte mehr auf meine Mitarbeiter, führe Gespräche, bin insgesamt viel ruhiger. Dazu führe ich Tagebuch, in dem ich die positiven Momente notiere.“ Wichtig war dem Bürgermeister auch der Austausch mit den anderen Führungskräften im Kurs. „Wir helfen uns noch heute gegenseitig bei Problemen.“ Das wichtigste, das er in den Kursmodulen gelernt hat: Auf seine eigene Gesundheit zu achten und sich Freiräume für Freunde und Familie zu schaffen. So kommt der Spaß an der Arbeit zurück. „Nur wenn ich Freude bei der Arbeit habe, kann ich auch andere motivieren“, sein Fazit.

Wertschätzung als wichtiger Baustein

Einblicke in ihren Prozess „Wertschätzung als Baustein einer gesunden Organisation“ lieferten die Staatstheater Stuttgart mit 1350 Beschäftigten. Schon seit über zehn Jahren ist mit Unterstützung der obersten Leitungsebene das Thema Gesundheit mit zahlreichen Projekten, Maßnahmen und auch neuen Stellen in die Organisation implementiert worden, inklusive eigener Kita. Hier galt es, „die bereits begonnene Entwicklung zu evaluieren und dadurch die Akzeptanz der Maßnahmen zu überprüfen und weiter zu entwickeln“, so Anneta Käfer, Referentin des Intendanten. Als Partner ist die Führungsakademie Baden-Württemberg im Boot, die bei den Staatstheatern die Methode der „wertschätzenden Erkundung“ anwendet. „Ein Paradigmenwechsel“, wie Katja Schwarz von der Führungsakademie hervorhebt. „Der Fokus der Befragung liegt auf den Stärken und Chancen des Erreichten und nicht auf den Problemen. Es geht um Lösungen, die den Veränderungsprozess voranbringen.“

Natürlich würden auch Schwächen und Negatives nicht ausgeblendet, sagt
Johannes Egerer, der Vorsitzende des Personalrates. „Der positive Ansatz öffnet die Herzen der Mitarbeiter schneller“, ist er überzeugt. „Wir sind auf dem Weg und haben und haben noch viel vor uns“, so Martina Lutz. Sie leitet das neu gegründete Sozialreferat.

Belastungsspitzen abbauen

Best Practice-Beispiele, damit Arbeitsverdichtung und Belastungsspitzen keine Gefahr für die Gesundheit werden, lieferten das Landratsamt Böblingen, die Stadt Stuttgart und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
„Um die Arbeitsbedingungen und Strukturen möglichst gesundheitsfördernd zu gestalten, ist es hilfreich, regelmäßig mit Bedarfserhebungen zu ermitteln, wo genau der Schuh drückt, um gezielt gegenzusteuern.“, so Doreen Molnár vom BMAS. „Zudem gilt es besonderes Augenmerk auf die Einbindung der Führungskräfte zu legen: Mitarbeiter/innen, die sich auch in arbeitsreichen Zeiten auf ihre Vorgesetzte verlassen und regelmäßig wertschätzendes Feedback erhalten, werden in ihrer psychischen Gesundheit gestärkt und sind produktiver.“

Ansätze, um bei kurzfristigen Belastungsspitzen zu unterstützen, zeigte Frau Blatt-Kessler, verantwortlich für Personalentwicklung und Organisation in der Stadtverwaltung Stuttgart, auf. Die Situation im Ausländeramt im letzten Jahr war geprägt durch einen hohen Krankenstand, hohe Fluktuation und hohe Einarbeitungszeiten. Unterstützung brachte hier ein neues Konzept, um kurzfristig fachfremde Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen und entsprechend für ihren Einsatz dann auch zu qualifizieren. Daneben wurden Maßnahmen ergriffen, um das Arbeitsklima innerhalb der Behörde zu verbessern.

Um Belastungsspitzen mittel- bzw. langfristig präventiv vorzubeugen, institutionalisierte etwa das Landratsamt Böblingen einen Gesundheitszirkel unter Beteiligung der Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen. Um Zeichen zu setzen, wurden Sofortmaßnahmen gestartet. Darüber hinaus wurde ein umfangreiches Fortbildungsprogramm auf den Weg gebracht. Aber: Weniger ist mehr, so die Erfahrung von Personalleiter Hans Müller: „Man darf sich nicht verzetteln. Wichtig sind Partner, die einen bei der Durchführung der Programme unterstützen. Und vor allem darf man nicht nachlassen.“

Führung muss nicht kapitulieren vor der Komplexität

Vor der Tendenz, aus Kostengründen Arbeit immer kleinteiliger und monotoner zu gestalten, warnt Martin Schwarz. „Arbeit wird zunehmend programmiert und verdichtet und immer weniger gestaltet“, so der Referent für Organisationsentwicklung an der Führungsakademie. Dabei müsse man vor der Komplexität der Aufgaben nicht kapitulieren. Es gäbe genügend Werkzeuge, um in der Organisation die Voraussetzungen zu schaffen, um Arbeit wieder als „befriedigend“ wahrnehmbar zu machen. Flexible Lösungen etwa bei den Dienstplänen, Wissensmanagement und flache Hierarchien können hier unterstützen, so Schwarz.

Generell verändere sich Führung und damit auch der Aufgabenbereich für die Führungskräfte. Die Verlagerung von Verantwortung ins Team bedeute mehr Moderation und Coaching durch die Vorgesetzten.

Das »BW Forum Personalverantwortliche im Öffentlichen Dienst« ist ein Veranstaltungs- und Vernetzungskonzept des Kompetenzzentrums Arbeit o Diversität der FamilienForschung Baden Württemberg in Kooperation mit der Führungsakademie Baden Württemberg. Das Ministerium für Soziales und Integration Baden Württemberg fördert das Angebot.

Über:

Führungsakademie Baden-Württemberg
Herr Axel Dürr
Hans-Thoma-Straße 1
76133 Karlsruhe
Deutschland

fon ..: 0721 – 926 – 6600
web ..: http://www.fueak.bw21.de
email : axel.duerr@nexus-communication.de

Als Kompetenzzentrum für Personal- und Organisationsentwicklung bietet die Führungsakademie Baden-Württemberg ein vielseitiges Bildungsprogramm für Führungskräfte aus dem öffentlichen Sektor an. Schwerpunkte sind die Begleitung von Führungskräften in Veränderungsprozessen, Coaching, Personalauswahl und Qualifizierung von Nachwuchsführungskräften, Gesundheitsförderung, die Entwicklung strategischer Ziele im öffentlichen Sektor, die Geschäftsprozessoptimierung sowie die Qualitätsverbesserung. Die Führungsakademie wurde 1986 nach internationalem Vorbild mit dem Auftrag gegründet, um besonders qualifizierte Bedienstete der Landesverwaltung in einem mehrmonatigen Führungslehrgang systematisch auf leitende Führungsaufgaben vorzubereiten. 2001 wurde die Führungsakademie als Anstalt des öffentlichen Rechts verselbstständigt. Seit Juli 2013 leitet Dr. Ralph Bürk als ehrenamtlicher Präsident die Führungsakademie zusammen mit dem hauptamtlichen Generalsekretär Thomas E. Berg. Hauptsitz ist das Schwedenpalais in Karlsruhe. In Stuttgart befindet sich das Moderationszentrum.

Pressekontakt:

nexus communication
Herr Axel Dürr
Lerchenbergstr. 23
76703 Kraichtal

fon ..: 0175 – 5727495
email : info (ad) nexus-communication.de