In Debatten über das Freihandelsabkommen TTIP prallen Weltsichten aufeinander. Deshalb stellt sich die Frage, welche Einschätzungen sich mit Fakten und wissenschaftlichen Verfahren begründen lassen.
Das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA – kurz TTIP – ist weiterhin Gegenstand harter öffentlicher Kontroversen. Wem nützt und wem schadet die geplante Liberalisierung des transatlantischen Handels? Diese Fragen werden auch in den Wirtschaftswissenschaften lebhaft diskutiert. An der Universität Bayreuth befassen sich Prof. Dr. Mario Larch und Dr. Benedikt Heid am Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung schon seit mehreren Jahren mit Strukturen und Auswirkungen regionaler Handelsabkommen, darunter auch mit TTIP.
Eindeutige ökonomische Vorteile für Europa und die USA
In ihren bisherigen Studien, die sie in Kooperation mit dem ifo Institut für Wirtschaftsforschung erarbeitet haben, zeigen die Bayreuther Forscher, dass TTIP sowohl für die Mitgliedsländer der EU als auch für die USA erhebliche ökonomische Vorteile hat. Langfristig werde das Pro-Kopf-Einkommen innerhalb der EU durchschnittlich um 3,9 Prozent steigen. Für die USA sei sogar ein Zuwachs des Pro-Kopf-Einkommens um 4,9 Prozent zu erwarten. Diese Berechnungen beruhen auf der Voraussetzung, dass alle anderen ökonomisch und politisch relevanten Faktoren unverändert bleiben. Die nationalen Grenzen zwischen den EU-Mitgliedsländern stellen immer noch gewisse Handelshemmnisse dar, so dass TTIP in den USA etwas höhere Wachstumseffekte als in Europa erzeugen wird.
Wachstumseffekte innerhalb Europas
Innerhalb der EU lassen sich deutliche Unterschiede feststellen: Infolge der geplanten Freihandelszone würde das Pro-Kopf-Einkommen in Belgien um 2,3 Prozent, in Deutschland um 3,5 Prozent, in Spanien sogar um 5,6 Prozent steigen. Derartige Abweichungen lassen sich zu einem erheblichen Teil damit erklären, dass sich die nationalen Volkswirtschaften der EU-Mitgliedsländer bereits unterschiedlich stark für den Außenhandel geöffnet haben. Kleinere Länder mit relativ offenen Volkswirtschaften, wie beispielsweise die Niederlande oder die Slowakei, profitieren von TTIP weniger als Griechenland, Spanien oder Italien. Denn diese letzteren Länder müssen derzeit höhere Kosten für den internationalen Handel aufbringen, so dass sie vergleichsweise stark von reduzierten Handelskosten in Bezug auf die USA profitieren würden.
Insgesamt, so haben die Bayreuther Außenhandelsökonomen errechnet, gibt es kein EU-Land, in dem TTIP überwiegend ökonomische Nachteile hat. Es verhält sich diesen Prognosen zufolge auch keineswegs so, dass die Länder im Inneren der EU generell stärker als die Länder an den EU-Außengrenzen von TTIP profitieren würden. Deshalb wären, falls TTIP realisiert wird, aller Voraussicht nach keine wirtschaftspolitischen Maßnahmen erforderlich, um ökonomische Gleichgewichte innerhalb der EU nachträglich wiederherzustellen.
Erhebliche Nachteile für Drittländer?
Bezieht man die Länder außerhalb der transatlantischen Freihandelszone in die Berechnungen ein, sind die ökonomischen Folgen von TTIP nicht mehr uneingeschränkt positiv einzuschätzen. Im Durchschnitt würden die Länder, die vom transatlantischen Freihandel ausgeschlossen sind, rund 0,9 Prozent ihres Wohlstands verlieren. Der hauptsächliche Grund liegt darin, dass Handelsströme zwischen der EU und Drittländern sowie zwischen den USA und Drittländern tendenziell schwächer werden, während der transatlantische Austausch von Waren und Dienstleistungen steigt. Andererseits ist die Zahl der Drittländer, die mit erheblichen Wohlstandseinbußen zu rechnen haben, relativ klein. Die Bayreuther Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass nur 8 Prozent aller Drittländer mehr als 2,0 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts verlieren würden; bei 46 Prozent würden diese Verluste weniger als 1 Prozent betragen. Zudem gibt es eine Reihe kleinerer Staaten – darunter einige Inselstaaten im Pazifik und kleinere asiatische Länder -, die einen wachsenden Wohlstand zu erwarten haben, weil sowohl die EU als auch die USA den Handel mit diesen Ländern ausweiten würden.
„Wie sich eine transatlantische Freihandelszone letztlich auf Drittländer auswirken wird, ist schwer vorherzusagen“, meint Prof. Mario Larch. „Die Effekte hängen wesentlich von der vertraglichen Ausgestaltung ab, und hier fällt auch das ,Kleingedruckte‘ ins Gewicht.“ Von besonderer Bedeutung sei die Frage, welche ,Spill-over-Effekte‘ entstehen. Hierbei handelt es sich um die Auswirkungen von TTIP auf die Handelskosten, die von denjenigen Unternehmen zu tragen sind, die aus EU-Ländern oder aus den USA in Drittländer oder umgekehrt aus Drittländern in TTIP-Mitgliedsländer exportieren. Je stärker diese Handelskosten infolge der vertraglichen Ausgestaltung von TTIP sinken, desto eher lassen sich nachteilige Effekte insbesondere für Entwicklungs- und Schwellenländer abmildern.
Nebel ideologischer Vorurteile lichten
„Wir werden die Fortschritte der Verhandlungen zu TTIP weiterhin beobachten und unsere wissenschaftliche Expertise auch in öffentliche Debatten einbringen“, so Prof. Mario Larch. „Dabei ist es uns besonders wichtig, die jeweiligen methodischen Voraussetzungen von Prognosen herauszuarbeiten und den Nebel ideologischer Vorurteile mit wissenschaftlicher Klarheit zu lichten.“
Preisgekrönte Forschung zum Freihandel in Lateinamerika
Über TTIP hinaus werden von den Bayreuther Wirtschaftsforschern auch Freihandelsabkommen in anderen Wirtschaftsräumen untersucht. Dr. Benedikt Heid hat sich mit der Handelsliberalisierung in Lateinamerika befasst und ist mit Hilfe eines von ihm entwickelten, auf diese Region zugeschnittenen Außenhandelsmodells zu dem Ergebnis gekommen: Infolge von regionalen Handelsabkommen ist die Wohlfahrt in den Ländern Lateinamerikas im Schnitt um rund 12 Prozent gestiegen, die informelle Beschäftigung um rund 20 Prozent gesunken und die Arbeitslosenrate um rund 1,2 Prozentpunkte gefallen. Allerdings arbeiten in den Schwellen- und Entwicklungsländern Lateinamerikas noch immer 30 bis 50 Prozent der Beschäftigten im informellen Sektor, der durch niedrige Löhne, geringe Produktivität und das Fehlen einer sozialen Absicherung geprägt ist. Für seine Untersuchungen wurde Dr. Benedikt Heid mit dem diesjährigen ‚CESifo Prize in Global Economy – Distinguished CESifo Affiliate‘ ausgezeichnet. CESifo ist eines der weltweit größten Forschernetzwerke auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften.
Hervorragende Platzierungen im Handelsblatt-Ranking
Professor Dr. Mario Larch, der Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Bayreuth, zählt im Ranking des Handelsblatts auch in diesem Jahr wieder zu den forschungsstärksten Ökonomen im deutschsprachigen Raum. In der Kategorie „Forscher unter 40“ belegt er den 6. Platz, und in der altersunabhängigen Kategorie „Beste Forscherleistung“ einen ebenso hervorragenden 21. Platz. Das Ranking wird von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich im Auftrag des Handelsblatts sowie des Vereins für Socialpolitik erarbeitet. Dabei werden die Veröffentlichungen von rund 3600 deutschsprachigen Ökonomen in mehr als 1500 internationalen Fachzeitschriften ausgewertet.
Analyse zu TTIP:
Gabriel Felbermayr, Benedikt Heid, Mario Larch, Erdal Yalcin, Macroeconomic potentials of transatlantic free trade: a high resolution perspective for Europe and the world,
in: Economic Policy, (2015) 30 (83): 491-537.
DOI: http://dx.doi.org/10.1093/epolic/eiv009
Kontakt:
Prof. Dr. Mario Larch
Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 55-6240 und -6241
E-Mail: mario.larch@uni-bayreuth.de
Dr. Benedikt Heid
Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0)921 55-6244
E-Mail: benedikt.heid@uni-bayreuth.de
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Kurzporträt der Universität Bayreuth
Die Universität Bayreuth ist eine junge, forschungsorientierte Campus-Universität. Gründungsauftrag der 1975 eröffneten Universität ist die Förderung von interdisziplinärer Forschung und Lehre sowie die Entwicklung von Profil bildenden und Fächer übergreifenden Schwerpunkten. Die Forschungsprogramme und Studienangebote decken die Natur- und Ingenieurwissenschaften, die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie die Sprach-, Literatur und Kulturwissenschaften ab und werden beständig weiterentwickelt.
Gute Betreuungsverhältnisse, hohe Leistungsstandards, Fächer übergreifende Kooperationen und wissenschaftliche Exzellenz führen regelmäßig zu Spitzenplatzierungen in Rankings. Die Universität Bayreuth belegt 2014 im weltweiten Times Higher Education (THE)-Ranking ,100 under 50′ als eine von insgesamt sechs vertretenen deutschen Hochschulen eine Top-Platzierung.
Seit Jahren nehmen die Afrikastudien der Universität Bayreuth eine internationale Spitzenposition ein; die Bayreuther Internationale Graduiertenschule für Afrikastudien (BIGSAS) ist Teil der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder. Die Hochdruck- und Hochtemperaturforschung innerhalb des Bayerischen Geoinstituts genießt ebenfalls ein weltweit hohes Renommee. Die Polymerforschung ist Spitzenreiter im Förderranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die Universität Bayreuth verfügt über ein dichtes Netz strategisch ausgewählter, internationaler Hochschulpartnerschaften.
Derzeit sind an der Universität Bayreuth rund 13.000 Studierende in 135 verschiedenen Studiengängen an sechs Fakultäten immatrikuliert. Mit ca. 1.200 wissenschaftlichen Beschäftigten, davon 224 Professorinnen und Professoren, und rund 900 nichtwissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universität Bayreuth der größte Arbeitgeber der Region.
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